Frederique Taiqulin

Frederique Taiqulin, 2005

Die Farben Niederrads

Frankfurt/Main Niederrad, Juni 1998



Weiß senkte sich vom Himmel und sickerte schwammig in die Hochhäuser und die Gemüter, die sowieso angeschlagen von der trüben Boulliabaisse der letzten Tage nur darauf warteten, den letzten Tropfen noch in sich aufzusaugen um dann umzukippen vom strahlenden Rosa zum dreckigen Blau. Selbst das ansonsten so wilde, lebendige Grün der wenigen übriggebliebenen Bäume, die dem Baudrang der Menschen Widerstand bieten konnten, ließ einen grauen Umhang zu, da die schwindende Kraft sie zu möglichst wenig Frühlingsgefühlen zwang. Den Larven unter ihren Rinden wurde es kalt und sie suchten sich weiter einzugraben, was nicht ohne Schmerz und weitere graue Aura für ihre Wirte ausging.


Inmitten der stöhnenden Bäume und viel zu hohen Häusern drehte einsam ein frierendes Kind einen Kreisel, als einziges bunt. Immer schneller gelang es, immer lauter wurde die Wechselwirkung mit der umgebenden Luft und der rauhen Straße, immer wilder wurden die Nutationen und Präzessionen, die bunte Schlangenlinien in das Einheitsgrau zu zeichnen vermochten. Dieser Anblick traf einen Taxifahrer, der kurz von seiner Zeitung aufsah, die weitere Tage der Trübsal voraussagte, und seine Augen schweifen ließ über die Straßen. Sein Blick schien sich zu erhellen, schien seine Umgebung ins Leben zurück zu führen, die Farben in sich aufzusaugen. Der Sommer war in seine Glieder zurückgekehrt. Ein Ruf über seinen viel zu lauten Funk lies ihn anfahren, die Gedanken bei den Farben kreisten und wenig später überollten die Räder seines beigen Wagens einen Kreisel und ein schreiendes Kind, was der Melancholie dieses Momentes wiederum eine Farbe hinzufügte: ROT.


Die nun entstehenden Turbulenzen ließen hunderte von Menschen aus ihren traurigen Fenstern sehen, doch sie würden nicht verstehen, nie verstehen, was geschehen war.


Die Natur hatte sich ihr Recht genommen, ihr Recht über Leben und Tod derer zu bestimmen, die versuchten, wenn auch ohne Absicht, ihren Weg zu unterbrechen, zu versuchen gegen sie anzusteuern. Ein weinender Taxifahrer umringt von einer Menschentraube und grünhütigen Polizeibeamten glugste vor sich hin. Seine Taxikarriere aufgebend und im Bahofsviertel landend würde er sein Leben nicht mehr in den Griff bekommen und in einer dreckig-grauen Toilette mit einer viel zu spitzen Nadel das letzte Bißchen seiner bunten Aura an die Natur zurückgeben. Rote Punkte auf seinem Arm würden ihn begleiten auf seiner letzten Taxifahrt und immer noch würde das Kind vor seinen Augen pochen, pochen auf sein Recht zu leben, das der Weinende ihm genommen zu haben glaubte. Die Sonne brach kurzzeitig durch die Wolken, als die Grünkappen ihn mitnahmen und geschockte Elternhände auf seine feuchte Brust schlugen. Das konnte der Weinende verstehen, nachvollziehen. Auf einem Sonnenstrahl sah er das Kind steigen zum blauen Loch in der Wolkendecke, hinauf, hinauf zur Sonne: "schaut!" - niemand schaute, alle gebannt von einem zerrissenen Körper, rot auf grau und verwundert darüber, wie so etwas passieren konnte auf offener Strecke, ohne Vorwarnung, ohne Bremsspuren, ohne übermäßige Geschwindigkeit - leise für ein Kind und seine Umgebung, explosiv für eine verbrühte Menschheit, unerwartet, schockend für einen Mann im Taxi.


Eine Zeitung wird schreiben: , eine andere: . Zwei Menschen zerstören sich das Leben - ein Ende im Blut des anderen, so läuft die Welt, so ergibt sich vielleicht ein Ende, dann wenn das Blut ausgegangen ist und zusammengerechnet wird, wenn jemand sich dann noch die Mühe machen sollte dies zu tun.


Abgeschleppt von grünen Hüten, weinend sagt unser Taxifahrer wies gewesen und was wann wie passiert - stumme Mienen, kein Kommentar, keine Hilfe. Der Opfertäter, der selbst nicht an einen Unfall glaubte, wie auch, wenn er doch allseitig eingeredet bekam, er hätte gemordet. Machtlos akzeptieren, das Schicksal annehmen - nein, genau das geht nicht immer, will nicht funktionieren, wenn es wirklich Schicksal ist. Laßt sie schlagen, die Stunden, laßt sie schlagen die Glocken, laßt die Uhren ticken, der Mensch wird sich nicht ändern. Einsam, alleine, schreiend in einer Zelle, nur besucht durch seinen Zwangsanwalt, einen trügerischen Jüngling, der nicht das geringste von seinem Geschäft verstand vegetierte er ziellos dahin, Jahre vergingen, bis er rauskam, verachtet vom Rest der Welt, der einsamste Mensch der Erde.


Zurecht bestehst Du nun darauf, lieber Leser, daß diese Geschichte ein Ende findet, zurecht bist Du kurz davor diese Geschichte nicht zu Ende zu lesen, aber halt, laß uns doch überlegen, wie wir das hinbiegen können. Wäre es nicht... ja, das könnte gehen, drehen wir die Zeit zurück, spulen den Film nach hinten und verbieten der Natur ihren Drang nach Tod. Fiktiv ist das machbar, Fiktion die Mutter alles Phantastischen, die Mutter der Träume, der Gedanken und des Lebenswillen.


Weiß senkte sich vom Himmel und sickerte schwammig in die Hochhäuser und Gemüter, die sowieso angeschlagen von der trüben Boulliabaisse der letzten Tage nur darauf warteten, den letzten Tropfen noch in sich aufzusaugen um dann umzukippen vom strahlenden Rosa zum dreckigen Blau. Leise begann der saure, dreckige Regen seine Bäche auf der grauen Straße zu ziehen und verdorrte Wurzeln saugten gierig jeden Tropfen, leiteten ihn ab nach oben zu den trockenen Spitzen, die aufatmeten, sich vorbereiteten auf einen langen warmen Frühling und Sommer, in dem es hoffentlich mehr Feuchtigkeit zu kosten gab als in diesem Winter.


Inmitten der aufatmenden Bäume und viel zu hohen Häusern drehte einsam ein lachendes Kind einen Kreisel, als einziges bunt. Immer schneller gelang es, immer lauter wurde die Wechselwirkung mit der umgebenden Luft und der rauhen Straße, immer wilder wurden die Nutationen und Präzessionen, die bunte Schlangenlinien in das Einheitsgrau zu zeichnen vermochten. Dieser Anblick traf einen Taxifahrer, der kurz von seiner Zeitung aufsah, die weitere Tage sonnigen Regens voraussagte, und seine Augen schweifen ließ über die Straßen. Sein Blick erhellte, rief seine Umgebung ins Leben zurück. Die Farben drehten sich vor seinen Augen, der Sommer war in seine Glieder zurückgekehrt. Ein viel zu lauter Ruf über Funk weckte Ihn auf und er dachte daran loszufahren, ihm zu folgen, immer noch die farbigen Gedanken im Auge, die meertief das Sonnenlicht spiegelten. Er fuhr an und plötzlich quietschten seine Reifen über grauen Asphalt, hinterließen schwarze Streifen - ein Kind hatte in dieser Richtung gespielt.


Er hörte weinen, stieg aus, wußte wohl, daß im jetzigen Moment tausende von Augen der Hochhäuser auf ihn gerichtet waren, hob ein weinendes Kind hoch auf seinen Arm und begann Trost zu schenken, wie aus einem unleerbaren Topf, einer Pipeline von Trost und Hoffnung. Schon bald hörte ein Kind auf zu weinen in seinen Armen, konnte nicht mehr klagen, als es endlich seinen weggerollten Kreisel wiederbekam und es lachte das kindliche Lachen des Glücks, das keinen Erwachsenen unbetroffen zurücklassen kann.


Lachende, tiefe, spiegelnde Augen eines Taxifahrers verzichteten auf die anstehende Fahrt, brachten das Kind in ständigen Rufen nach Hause, entschuldigte sich bei einer besorgten Mutter, deren einziges Kind beim Spielen abhanden gekommen war, sie von der Arbeit kommend in Sorgen ertrank. , umarmende, liebende Hände einer Mutter, ein dankendes Gesicht, das die Worte


und schloß die Tür. Nun hatte aber das Taxi frei für heute und die Hausklingel ließ erneut einen aufdringliches schrilles DRRRRIIIIIING hören. Die Tür ging auf und alte Bekannte schienen sich zu treffen. Das war wirklich so, denn das Taxi kannte die Rolts von so einigen Fahrten zum Bahnhof, zum Zoo, zur Messe, zum Arzt - immer nur zu zweit waren sie in sein Taxi gestiegen, nie mit einem dritten, einem Familienoberhaupt. Seit heute wußte er, daß es keines gab, daß Zweisamkeit den beiden genügen mußte. Er dachte daran, sich beide zu schnappen und ab in sein Taxi, eine Fahrt raus aus der Enge der Stadt, vielleicht in den Süden, irgendwo in den Wald südlich vom Flughafen. Ja! Luft, spazieren gehen, kreiseln ohne Straßen. Grün, wohin man nur schauen mochte. DRRRIIIIIING! Endlich wurde ihm geöffnet, er wurde eingelassen, nach einem kurzen <'tschuldigung, daß ich sie so schnell ausgesperrt habe, aber Lukas...>. Gut.



, er zeigte auf das leicht angeschlagene Spielzeug, hob es auf und schickte sich an zur Tür zu gehen,


, antwortete Silvie dem nervösen Taximenschen - warum nicht wegfahren, raus aus der Hölle, aber es würde kalt werden, Das Du traute sie nicht. Sie wollte ihn nicht kränken, ein übliches Problem zwischen Männern und Frauen, sie verstehen sich nicht, sind so gleich doch so verschieden, müssen sich mit Vorbehalt begegnen, zumindest solange noch Unverständnis


zwischen beiden herrscht. Tom hoffte auf Lukas als Vermittler, als Kommunikationsobjekt, das die Kanäle beider - eher aller drei - verbindend unterstützt. Ein Pol des Verständnisses. Tom hoffte auf Tiefe, er war verliebt, es konnte mehr daraus werden, wenn - er drückte seine Nase an sein blaues Jeanshemd, das mittlerweile zu eng geworden nicht mehr wie früher locker um seinen Hals hieng und roch - nein nichts Extremes, aber er bemerkte plötzlich die Enge des Hemdes und seines schwarzen breiten Ledergürtels, der aus traditionellen Gründen im letzten Loch umgeschnallt war.


Er löste ihn, sich umschauend, peinlich, doch sein Hemd konnte er nicht ausziehen. Seine Schuhe begannen zu drücken. Die Nervosität des ersten Mals, die er auch beim hundertsten nicht hätte ablegen können, Herzschlagen, poch, poch, poch, im halbsekundentakt, harrend, hoffend auf Erfolg, den ersten Erfolg seines Lebens. Nein Unglück hatte er nie gesehen, Unglück nicht, aber auch die andere Seite fehlte ihm. Er hastete durchs Leben, Überstunden, fettes Essen an Charlies Bude, Hektik, fahren, Termine von Kunden, Messestaus und Autobahnbaustellen. Er selbst war Auslöser unendlicher Leiden, selbstgeschaffener Schmerzen. Er dachte an einen Artikel, den er gelesen hatte heute morgen:


...


In unsrem eignen Blute sollen wir ersticken, denn wir selbst sind es, die es uns entreißen, die es trinken müssen in großem Schwalle. Wir sammeln die Schmerzen, schlucken sie, nur selten gelingt es eine uns selbst gerissene Wunde zu schließen, nur selten geht ein Schmerz ohne bleibende Erinnerung vorüber. Das soll er auch nicht. Schmerzen machen uns genauso zu Menschen, wie die Liebe, die zu bringen nur wir Menschen fähig scheinen. Warum sie also nicht ertragen, diese Schmerzen und schlucken das Blut. Es bleibt uns nichts, keinem von uns.


...


Nein, es blieb wirklich nichts, ihm nicht, er ertrug, was er mußte und versuchte raus zu kommen, um nicht zu ersticken, am Nebel seiner eigenen Ohnmacht. Ein Nichts war er, würde er immer sein, vegetieren im Beete der doch ansonsten so erfolgreichen Menschheit, von den Abfällen, Almosen der Großen leben, die nur sehr selten einmal ein Trinkgeld ließen.


Ja, mit Mühe hatte er den Taxischein geschafft damals, weil ein anderer Fahrer ihm insgeheim Hilfestellung gegeben hatte, aber wenigstens das hatte er fertiggebracht. Jetzt war er kurz davor wegzurennen, so wie immer eben, aber irgendwas hielt ihn fest in dem ausgeleierten beigen Sessel. Er würde Glück finden, in diesem Hause, zum ersten Mal würden drei Menschen das Glück der Welt sehen.