Frederique Taiqulin

Frederique Taiqulin, 2005

Apropos Leben...

Manche Gedanken sind so fern, daß sie unmöglich gedacht werden können, andere so nah, daß sie gedacht scheinen, ehe man sie denken kann. Beides erscheint unwirklich.




In der Mittagssonne war es unerträglich geworden in der Dachwohnung. Wenn sie nur rauskönnte, raus aus diesem Bett, die Krankheit ablegen. Wenn sie nur in ihrer Einbildung bestünde, ein Traum wäre, wie der schöne Traum der letzten Nacht, der Traum, er wäre nicht gegangen damals, als sie handhaltend durch Paris liefen, wäre geblieben und sie hätten sich noch etwas zu sagen gehabt. Aber das war nicht so. Es war kein Traum, das war die Wirklichkeit.Ja, sie warn durch Paris gelaufen, stumm und plötzlich sagte jemand:


"Wir haben uns nichts mehr zu sagen.", eine fremde Stimme - nein, seine Stimme, die sie kaum gehört hatte in diesen Tagen,


"Es hat keinen Sinn mehr.".


Sie war stumm geblieben, damals, stumm, weil sie sprachlos war, waren sie doch glücklich gewesen. Aber es hatte wohl wirklich keinen Sinn mehr, sie ließ los und er ging nach dem Parisurlaub. Sie hatte ihn nicht wiedergesehen. Kurz darauf war sie krank geworden, hatte sich irgendwo was eingefangen


und das machte sie nun schon seit einer Woche bettlägrig, genau jetzt, wo sie jede Abwechslung hätte gebrauchen können. Die Welt war verrückt, einen immer dann nochmal zu schlagen, wenn man sowieso schon - ohh nein, sie würde jetzt nicht pessimistisch werden, oder anfangen sich zu bedauern. Die Welt gehört den Optimisten! Sie lächelte sich Besuch herbei. Die Türklingel machte ihr leises Ping. Sie hatte die Glocke mit einem Taschentuch gepuffert, damit sie nicht so dröhnt und nun mußte man ganz schön aufpassen, um ein Klingeln nicht zu überhören. Aufstehen, aufstehen!


Es war nicht so einfach im Schweiß badend die Tür aufzumachen. Sie schämte sich ein wenig, aber freute sich darauf jemanden zu sehen. Nicht immer nur allein hier rumsitzen - das macht zu viele Gedanken. Sie hatte ein paar Freunde angerufen, die aber alle irgendwo in Urlaub waren. Es war eben Sommer und wer hängt da schon alleine in seiner Wohnung rum?


Die Türklingel.


"Guten Tag Frau Wismut. Ich komme zum Heizung ablesen."


Hätte ja auch jemand sein können, der ein wenig Zeit mit ihr verbringen wollte. Wieder nur ein Wunsch. Sie zeigte dem Mann die Heizungen und räumte, wie nebensächlich, den Weg frei, den sie neigte dazu, alles liegen zu lassen, wenn sie alleine war, warf alles einfach irgendwohin auf den Boden."Keine Mühe, ich habe schon unaufgräumtere Wohnungen gesehen."


Gosch, das war ein Schlag. Also unaufgeräumt, nur weil da eine Hose und ein T-Shirt auf dem Boden lagen, naja und sie eine ganze weile nicht mehr gesaugt hatte. Nun schämte sie sich richtig, aber egal, war ja nur der Heizungsableser. Sie würde gleich, ob Schmerzen oder nicht, aufräumen, Ordnung machen, damit das kein zweites Mal passiert.


"Bitte hier unterschreiben."


Sie kraxelte ihren Namen darunter und der Heizungsmensch verabschiedete sich mit einem flachen:


"Bis zum nächsten Mal."


Sofort schnappte sie sich einen Eimer und wischte Gang und Bad, putzte, saugte und schrubbte zerfließend wie ein Gebirgsbach, so daß sie gelegentlich Schweiß auf den Boden tropfte, den sie dann sofort wieder wegwischte.


"Puhh, geschafft.", sagte sie zu sich selbst und stellte sich unter die Dusche, das war zwar relativ Sinnlos, denn sie würde weiter schwitzen, aber sie brauchte es, jetzt, sofort.


"Ping", machte die Klingel, als sie sich gerade den Bademantel überzog. Es war Sven.


"Habe gehört, du liegst hier alleine krank rum.", er klang irgendwie unsicher,


"aber du hast ja alles aufgeräumt hier."


"Ich träumte, daß du kommst.", sie würde den Heizungsableser verschweigen - nur das, nur einmal noch über etwas schweigen. Sie würde sich mehr bemühen, würde ihn kein zweites Mal gehen lassen.


"Weißt du, was mir fehlt?"


"Sag es mir."


"Du natürlich - war doch nur rhetorisch."


"Und was besonders?"


"Mir fehlt deine Stimme."


Oh ja, sie hatten sich was zu sagen, wieder, endlich wieder und manchmal sind es die Träume, die der Wahrheit am nächsten liegen. Sie schwitzte nicht mehr.