Frederique Taiqulin

Frederique Taiqulin, 2005

Der Prinz des Westens

Zwei Menschen saßen im Auto und lachten. einer meinte, er könne jetzt eine Geschichte schreiben, ein anderer: "Ein Wolf läuft durch die Wüste"




Vor langer Zeit, es muß irgendwann vor einer Eiszeit gewesen sein, oder kurz danach, nachdem sich bestimmte Tiere unterschieden von anderen durch etwas, was sie „Denken“, die anderen „Wut der Zerstörung“ nannten, erreichte ein Wolf eine Wanderdüne in der Wüste und fragte sich, wie er hierher geraten war, denn er war und fühlte sich nicht als Wüstentier. Lange war er umhergeirrt in der ihm fremden Umgebung, ziel- und richtungslos. Verloren glaubte er sich nun, als die Gier nach Wasser ihn beinahe umbrachte und er versuchte, das Hecheln eines Wolfes unter der heißen Sonne zu unterlassen, um Wasser zu sparen und er fühlte, daß sein trockener Mund ihm keine Kühlung mehr schenken würde. Es war später Nachmittag und die Sonne versengte ihm das Fell, brannte ihre Brandzeichen auf seine Haut, so als wollte sie sagen:


„Ich fresse dich auf, denn du bist mein, mit Haut und Fell. Ich werde dich mir braten und die Nacht der Hyänen wird dich aus dieser Welt nehmen.“


Er blickte traurig in Richtung des Dünengipfels, hatte kaum den Willen sich hinaufzukämpfen, ihn zu seinem Aussichtspunkt zu machen oder zu seiner Ruhe- oder Todesstätte, doch irgend etwas in ihm, vielleicht das Tier, vielleicht ein Instinkt oder der Ansatz eben dieses Denkens ließ ihn sich hochschleppen in kleinen Schritten in langsamem gleichmäßigem Trott mit überwältigtem Bewußtsein des Todes in den tiefen Wolfesaugen, die die Sonne in ihnen glänzen ließen, trotz des Wassermangels, die sie strahlen ließen ein letztes Mal, wie es schien, in dieser fremden, unwirklichen Umgebung.


Der Sand biß ihm in die Pfoten, mit jedem seiner träumenden Schritte; wenn er, wenn seine Stimme gekonnt hätte, hätte er ein letztes Mal das Lied der Wölfe geheult, daß sein Vater ihn gelehrt hatte und daß er so oft mit seinen Freunden im Wald zum Lob des Waldes und des Mondes, dem alle Wölfe nah sind, angestimmt hatte. Doch als er stehen blieb und es versuchte, brachte er nur ein leises „hu“ hervor, ein „hu“ des erschreckten Denkens und der Trockenheit, der Todesnähe, Angst und Hoffnungslosigkeit, ein „hu“ der Verzweiflung und Endgültigkeit, denn er fühlte seinen Meister gefunden: die Sonne, so sie auch Leben spenden sollte und es auch tut, gerade diese Sonne vernichtete ihn.


Er erreichte den Gipfel und nachdem er seine Augen ein wenig geklärt und letzte Flüssigkeit in sie geleitet hatte, um noch einmal die Welt von oben, von einem Aussichtspunkt zu betrachten, er ein Wadi sah in der Tiefe, aber kein Grün und vor allem nicht das Blau des Wassers, nirgendwo, brach er zusammen, legte sich hin um zu sterben, zu vergehen, wie es der Sonne Plan war, nahm einen langen Abschied von der Welt in Erinnerungen von Jagd, Kühle der Nacht und dem Schlaf des Tages, von Farben, die ihn geleitet hatten als Wolf nicht als Wüstentier und denen, die ihn sterben ließen als Wüstentier nicht als Wolf.


Verschlossen blieb ihm in seiner Lethargie des Todes, oder der Todesnähe, daß ein Kamel, in sich gekehrt, weil von anderen Kamelen verstoßen, wegen eins kleine Fehlers, in einem Wadi, tief unten spazieren ging und ein seltsames Fellbündel sich bewegen, dann stilliegen sah auf einer Düne, ganz oben in der Nähe des Himmels und daß es sich aufmachte, zu erkunden, was es war und warum es sich versengte in der heißen Sonne, die kaum ein Tier auszuhalten vermag. Es kam näher und hatte so etwas noch nie gesehen, wußte dieses Bündel weder Freund noch Feind, doch schien es hilflos, verloren, denn ohne Flüssigkeit, unter der Sonne und das Mitleid dessen, was wir heute Menschlichkeit nennen und damals Selbstverständlichkeit heißen mußte, umfing es und nahm das Bündel auf, legte es auf den Kamelrücken und brachte es zu einer Oase, einer wirklichen, keiner Fata Morgana, keiner sonnenproduzierten Täuschung, oder täuschenden Sonnenproduktion.


Die Selbstverständlichkeit legte das Bündel ab, direkt neben dem Wasser und stumpte es an mit weichen Nüstern, um ihm mitzuteilen, daß die Suche nach Flüssigkeit vorbei und das Gesuchte vor ihm war, doch ein Fellbündel neben dem Wasser konnte sich nicht regen. Dann nahm ein Mund etwas Wasser auf, ließ es über einen zweiten Mund laufen und brachte so ein Bündel zurück in ein Leben, ein neues Leben vielleicht, vielleicht aber auch ein verlängertes, altes Leben, das war nicht zu entscheiden, weder für den aufweckenden noch den aufgeweckten, denn die Situation war neu, unbekannt und zum ersten Male in der Geschichte der Welt sahen sich ein Kamel und ein Wolf in müde, doch dankbare Augen, denn einer war gerettet, der zweite nicht mehr allein in der Einsamkeit der Verbannung.


Eine Zeit des Friedens und der Freundschaft folgte in der ein Wolf das Leben in der Wüste zu leben und zu lieben lernte, in der er Sand als seine Bäume und ein Kamel als sein Rudel zu betrachten verstand und in der ein Kamel die Nachtgesänge der Wölfe lernte und verstand und dem Mond Kraft abgewinnen konnte in der Art der Wölfe, ihn liebte. Sie sangen lange gemeinsam im Schatten der drei Palmen, die bei dem kleinen Tümpel der Oase standen, vom Einbruch der Dunkelheit bis in die Nacht. Erst als sie müde wurden, sich schlafen legen mußten, heulten sie getrennt weiter in ihren Träumen.


Es sprach sich herum, daß ein seltsames Tier mit einem Kamel zusammen in einer Oase im Westen der Wüste lebte, daß sie eine Symbiose des Glücks bildeten, doch überwog die Abschreckung, die Fremdheit eines solchen Zusammenlebens. Alle Tiere verdammten es, schlossen es als Möglichkeit aus, denn wer möchte schon die Freundschaft einer anderen Art, insbesondere, wenn diese Reißzähne, wenn auch nur kleine besaß, wie ein wandernder Skorpion zu erzählen wußte. Sie hatten Angst, die Tiere, denn was sie erzählt bekamen war ungewöhnlich, fremd, nicht zu fassen und doch wurden einige von ihnen neugierig, wollten das seltsame Geschöpf des verstoßenen Kamels sehen, das Fellbündel mit dem es zusammen seine Zeit und sein Leben verbrachte, wollten es begreifen, das unverständliche und zogen los gegen Westen.


Keines von ihnen traute sich heran, wenn es Tag war, wenn zwei Tiere unter drei Palmen dösten, doch mußten sie den Schlaf der beiden nutzen, um nicht zu verdursten, um ein wenig Wasser in sich aufzunehmen und für den Rückweg zu speichern und um sich ein schlafendes seltsames Wesen anzusehen, daß ihnen fremd war, so fremd, wie sein Herkunftsland, der Wald und sein verhalten, das ihnen Angst einflößte, insbesondere das gräßliche heulen zum Mond, den die Tiere der Wüste zwar als Erleichterung, denn er versprach die Kühle der Nacht, aber nicht als außergewöhnlich ansahen, denn er hatte keine Kraft für sie.


Ein junger Löwe war es, der über das Fellbündel stolperte in einer mondlosen Nacht, in der sie das heulen unterlassen hatten und nur davon träumten, in der der Mond ihnen, dem Kamel und dem Wolf, keine Kraft spendete. Er stolperte der Löwe und fing sich mit seiner Nase im Sand auf, nieste leicht und weckte so den Wolf, der über seinen Augen nur goldenes Fell sah und den sein Instinkt, wegen der Mondfarbe des Fells sofort heulen ließ. Erschreckt sprang der Löwe zur Seite und der Wolf verlor sein heulen, denn der Mond war untergegangen und er lag wieder still im Sand, der auch mondfarben am Tage, aber in der Nacht eher graugelb erschien und den zu unterscheiden vom wirklichen Mond er gelernt hatte.


Der Löwe fauchte. Der Wolf blieb still liegen. Was war das für ein Geschöpf? Es roch wie die Wildkatzen des Waldes, die er zu hassen gelernt hatte, war aber zu groß, zu stark für eine Katze. Es fauchte wild, angstvoll und angsteinflößend, doch der Wolf hatte vor nichts mehr Angst in seinem neuen Leben. Auch der Löwe war verwundert, denn er kannte nur ein Weglaufen auf sein Fauchen. Kein Tier der Wüste konnte still vor ihm liegen, wenn er es anfauchte. Auch ein Kamel war erwacht, ein wenig entfernt, denn es schlief immer ein wenig in der Wüste drinnen, ein wenig seinen Artgenossen näher, die es weggeschickt hatten, weil es zu selbstsüchtig gehandelt und den Schwachen Wasser einer Oase gegeben hatte in Krisenzeiten in denen die Starken zu trinken und zu überleben hatten. Doch Schwache können stark sein, das heißt stark werden, das wußte das Kamel, das brachte es zusammen mit einem starken Wolf, der es in Schutz, in Obhut nahm, wenn Gefahr drohte und das zeigte ihm den Löwen, der dem Wolf gegenüber in ein wenig Entfernung fauchte als machtloses, triebgesteuertes Wesen, dessen Triebe jetzt, da der Wolf einfach nur ruhig liegen blieb, nicht den gewollten, den natürlichen Effekt hatten.


Als der Wille, der Trieb des Löwen brach und er zum ersten Male in seinem Leben zu weinen begann, denn er war machtlos gegen diesen Wolf (angreifen konnte er nur weglaufende Tiere) trottete das Kamel hinüber zu seinem Wolf, stumpte ihn an mit seinen Nüstern und sagte leise in der ihnen anvertrauten, geheimen Sprache, der Sprache der Wölfe, die kein Wüstentier verstand:


„Jetzt bist du ein Prinz, der Prinz des Westens!“ und dann zu dem weinenden Löwen in der Sprache der Wüste:


„Verbeuge dich, denn hier liegt der Prinz des Westens, der Prinz der Ruhe und Freundlichkeit, der Prinz der Überwindung aller Angst und Triebe.“


Ein Löwe, ein Prinz der Wüste, denn zu einem König reichte das Alter noch nicht, verbeugte sich vor der Seltsamkeit die ihn gebrochen hatte und andere Tiere, die mit guten Augen in der Nacht, sahen zu und trugen Geschichte durch die Wüste nach Osten zu den Königen der Wüste und nach Westen, wo der Wald des Wolfes lag und ein Leguan, um dem Biß eines Wolfes, des Bruders eines angehenden Wüstenprinzes, zu entgehen begann in der Sprache des Waldes zu sprechen und von einer Oase zu erzählen, von einem seltsamen Tier mit Höckern, das einen Wolf gerettet hatte vor dem verdursten und einem Wolf ein Freund war. Freunde kannte er nicht, nicht einmal Wölfe waren ihm Freunde, denn sie waren Rivalen in der Futtersuche und der Begattung der weiblichen Wölfe. Doch hatte auch er ein wenig dieses neuen Denkens in sich, das ihn neugierig machte und den Leguan leben ließ an diesem Sommertag. Ein Rudel Wölfe machte sich auf nach Osten, ein Rudel Löwen nach Westen und ihr Treffen würde die Welt verändern, weil Kriege schaffen, die Kriege der Unverständnis und des Neides, die Kriege dessen, was wir heute als unmenschlich bezeichnen und was damals als natürlich galt.


Sie trafen sich in einer Oase im Westen oder Osten, je nach ihrer Herkunft und beschnupperten sich, rochen den Neid, die Macht der anderen und blind schlugen sie los, färbten den Mondschein des Sandes rot und ließen sich nicht von einem Kamel, einem Wolf und einem jungen Löwen beirren, die sich kennengelernt hatten in einer Nacht an der Oase und sich liebten trotz oder wegen ihrer Andersartigkeit. Die Könige starben, doch die Prinzen retteten die Welt, schufen ein Königreich des Friedens im Westen oder Osten, je nach ihrer Herkunft und man erzählt, daß Tiere des Waldes und der Wüste sie besuchten, die Gräber des kalten Krieges besuchten und zufrieden, nach langen Diskussionen die Welt ein wenig verstanden, so verstanden, wie drei Tiere, die sich gefunden hatten, füreinander und miteinander waren. Die Welt war nicht mehr wie bisher, sie hatte sich geändert, denn sie hatte mit dem Denken die Zerstörung, den Krieg, doch auch die Liebe und den Frieden gefunden. Drei Tiere in einer Oase fragten sich, ob es gut war, ob die Welt fähig war, damit zu leben, ob es sie besser oder schlechter machen würde. Sie dachten und erfanden in ihrem Denken eine Philosophie des Friedens und des Lichtes. Sie erfanden, definierten den Urquell der Kraft: Liebe und Hoffnung.


Jetzt, Jahre, Jahrtausende später, lange nach der Eiszeit, sind sie vergessen, die Begründer der Welt der Menschen, ist vergessen, daß einst ein Mensch die Oase fand auf seinem langen Weg durch die Wüste, daß er Geschichte lernte und weitertrug in der Sprache der Menschen und daß nicht der Krieg, der Neid, der Haß die Grundlagen der Welt sind, sondern Friede, Liebe und Hoffnung. Nur ein alternder Wolf, der die Welt von einer Sanddüne herab ansieht, weint. Doch ein kleines Lächeln scheint ihm ab und zu zu entrinnen, wenn er einen Menschen hoffen, lieben sieht, dann weiß er insgeheim, daß drei Tiere recht hatten.